Lieferzustände von Stählen
In unserem letzten Podcast haben wir die Hauptgütegruppen und deren Einteilung in unlegierte und legierte Stähle erläutert. Im folgenden Kapitel möchte wir Ihnen die wichtigsten Lieferzustände und deren Eigenschaften näherbringen.
Kriterien für die Einteilung von Lieferzuständen
Bei den Qualitäts-, Edel- und Blankstählen unterteilen wir die Lieferzustände
- nach einer Wärmebehandlung,
- nach dem Oberflächenzustand
- oder nach einer Kombination aus Wärmebehandlung und einem Oberflächenzustand.
Lieferzustände nach einer Wärmebehandlung von Stahl
Beginnen wir mit den Lieferzuständen nach einer Wärmebehandlung. Es gibt eine Vielzahl von Wärmebehandlungsmöglichkeiten für Qualitäts- und Edelstähle. Je nachdem welche Behandlung angewendet wird oder welche bestellt wird, ergeben sich verbesserte Werkstoffeigenschaften, die für den jeweiligen Anwendungsfall von Vorteil sind.
Anhand der Lieferzustände +AR, +N und +M, die üblicherweise bei Baustählen Anwendung finden, möchten wir Ihnen die Abkürzungen und die entsprechenden Lieferzustände anhand dreier Beispiele erklären.
Die Abkürzungen basieren mehr oder weniger mit wenigen Ausnahmen auf den in Europa in Englisch verfassten Originalnormen.
Der Lieferzustand +AR bedeutet „as rolled“, also wie gewalzt. +N bezeichnet im Englischen den Lieferzustand „normalized rolled“, also normalisiert. Das thermomechanische Walzen erhält den Buchstaben +M, „thermomechanical rolling“.
Lieferzustand +AR
Produkte aus den Baustählen S235JR oder S275JR werden in der Regel ohne jegliche Einflussnahme auf die Walztemperaturen und Wärmebehandlungsbedingungen gewalzt. Die Werkstoffbezeichnung eines so gewalzten Produktes erhält die Abkürzung +AR.
S235JR Stahl bei materials4me:
Lieferzustände bei Edelstahl
Die typischen Lieferzustände für Baustähle haben wir bereits erläutert. Schauen wir uns nun noch weitere Lieferzustände etwas genauer an, die bei Edelstählen Anwendung finden.
Diese sind beispielsweise das Weichglühen, abgekürzt +A, das Vergüten, abgekürzt +QT, sowie das Glühen auf eine bestimmte Gefügestruktur und Härtespanne.
Ein Einblick in unser Edelstahl Sortiment:
Achtung! Fertigungsfolge beachten
Bei einem kombinierten Lieferzustand, wie zum Beispiel gezogen und anschließend vergütet, würde man die Kurzbezeichnung +C+QT verwenden. Sollte jedoch der Werkstoff vorher vergütet und anschließend gezogen werden, so ist die Kurzbezeichnung +QT+C anzugeben.
Der Unterschied liegt in der Endfestigkeit des Materials, denn soll ein Stab nach der Vergütung gezogen werden, entsteht zur Festigkeitssteigerung durch die Vergütung eine zusätzliche Festigkeitssteigerung durch das Kaltziehen des Materials. Die Fertigungsfolge wäre dann unbedingt zu berücksichtigen.
Wie Sie sehen sind die Lieferzustände ein umfassendes Thema. Bei Unsicherheiten zur Wahl der Lieferzustände, lassen Sie sich bitte hierzu vorher beraten.
Bis zum nächsten Werkstoffberater. Ihr Andreas Kölsch von thyssenkrupp.
Wärmebehandlung | Kurzbeschreibung |
Wie gewalzt | +AR (As Rolled) |
Normalgeglüht oder normalisierend umgeformt | +N (Normalized) |
Thermomechanisch umgeformt | +M (Thermomechanical Rolling) |
Weichgeglüht | +A (Annealed) |
Behandelt auf Kaltscherbarkeit | +S (Shearability) |
Vergütet | +QT (Quenched and Tempered) |
Behandelt auf Ferrit-Perlit Gefüge und Härtespanne | +FP (Ferrite/Pearlite and Hardness range) |
Behandelt auf Härtespanne | +TH (Treated to Hardness range) |
Spannungsgeglüht | +SR (Stress Relieved) |
Unbehandelt | +U (Untreated) |
Lieferzustände
Geschält | +SH |
Kaltgezogen | +C |
Kaltgezogen + vergütet | +C+QT (Die Fertigungsfolge ist zu beachten!) |
Vergütet + kaltgezogen | +QT+C (Die Fertigungsfolge ist zu beachten!) |
Vergütet + geschält | +QT+SH |
Weichgeglüht + geschält | +A+SH |
Weichgeglüht + kaltgezogen | +A+C |
Behandelt auf Ferrit-Perlit-Gefüge und Härtespanne + geschält | +FP+SH |
Behandelt auf Ferrit-Perlit-Gefüge und Härtespanne + kaltgezogen | +FP+C |
Lieferzustand +N
Der Lieferzustand +N kann durch ein Glühen im Ofen oder durch Walzen mit einer Endumformung in einem bestimmten Temperaturbereich, welcher zu einem Werkstoffzustand führt, der dem nach einem Normalglühen gleichwertig ist, erreicht werden.
An einem im Ofen normalgeglühten oder im Walzprozess normalisierend umgeformten Baustahl wird an die Werkstoffbezeichnung ein +N angehängt.
So behandelte Stähle sind in ihrer Gefügestruktur feinkörnig, homogen und weisen gute Umformeigenschaften auf.
Lieferzustand +M
Der Lieferzustand +M basiert auf einem Walzverfahren mit einer Endumformung in einem bestimmten Temperaturbereich, das zu einem Werkstoffzustand mit bestimmten Eigenschaften führt, der durch eine Wärmebehandlung allein nicht erreicht wird und nicht wiederholbar ist.
Bei thermomechanisch gewalzten Baustählen werden die mechanischen Eigenschaften über das Walzverfahren erreicht. Bei den üblich warmgewalzt oder normalisiert erzeugten Baustählen werden die mechanischen Eigenschaften über den Kohlenstoffgehalt erzeugt. Durch dieses Verfahren werden sehr feinkörnige, gut schweißbare Halbzeuge hergestellt.
Eine nennenswerte Besonderheit dieser drei Lieferzustände ist, dass unabhängig vom Lieferzustand, die Sollwerte der mechanischen Eigenschaften gemäß technischer Lieferbedingung gleich sind.
Hier bildlich dargestellt eine Auflistung der wichtigsten Lieferzustände:
- Werkstoff: S235JR
- Herstellungsverfahren: gewalzt
- Normen: EN10056/EN10025
- Werkstoff: S235JR
- Herstellungsverfahren: gewalzt
- Abmessung: 60 x 40 x 5 mm
- Normen: EN10056/EN10025
- Werkstoff: S235JR
- Herstellungsverfahren: gewalzt
- Abmessung: 20 x 5 mm bis 100 x 10 mm
- Werkstoffnummer: 1.0038
- Normen: EN10058/EN10025
- Werkstoff: S235JR
- Herstellungsverfahren: gewalzt
- Abmessung: 10 mm bis 40 mm
- Normen: EN10059/EN10025
- Werkstoff: S235JRH
- Herstellungsverfahren: geschweisst
- Längentoleranz: +/- 3 mm
- Werkstoffnummer: 1.0039
- Normen: EN 10219-1+2
- Werkstoff: S235JRH
- Herstellungsverfahren: geschweisst
- Abmessung: 20 x 20 x 2 mm bis 100 x 100 x 4 mm
- Normen: EN 10219-1+2
- Werkstoff: X5CrNi18-10
- Werkstoffnummer: 1.4301 / AISI 304
- Normen: EN 10056 / EN 10088-3
- Längentoleranz: +/- 3 mm
- Werkstoff: X5CrNi18-10
- Werkstoffnummer: 1.4301 / AISI 304
- Normen: EN 10058 / EN 10088-2
- Längentoleranz: +/- 3 mm
- Werkstoff: X5CrNi18-10
- Herstellungsverfahren: gezogen
- Abmessung: 15 x 4 mm
- Normen: EN 10278 / EN 10088-3
- Toleranzausprägung: h11
- Werkstoff: X5CrNi18-10
- Werkstoffnummer: 1.4301 / AISI 304
- Normen: EN 10058 / EN 10088-3
- Längentoleranz: +/- 3 mm
- Werkstoff: X5CrNi18-10
- Werkstoffnummer: 1.4301 / AISI 304
- Normen: EN 10278/EN 10088-3
- Längentoleranz: +/- 3 mm
- Werkstoff: X5CrNi18-10
- Herstellungsverfahren: geschweisst geglüht
- Abmessung: 10 x 1,5 mm bis 50 x 2 mm
- Normen: EN ISO 1127 / EN 10217-7
- Werkstoff: X5CrNi18-10
- Werkstoffnummer: 1.4301 / AISI 304
- Normen: EN 10278 / EN 10088-3
- Toleranzausprägung: h11
- Werkstoff: X5CrNi18-10
- Herstellungsverfahren: geschweisst
- Oberfläche: K240 geschliffen
- Abmessung: 15 x 15 x 1,5 mm bis 60 x 60 x 2 mm
- Werkstoff: X5CrNi18-10
- Herstellungsverfahren: geschweisst
- Abmessung: 20 x 20 x 2 mm bis 120 x 80 x 3 mm
- Werkstoff: X5CrNi18-10
- Herstellungsverfahren: geschweisst
- Abmessung: 12 x 1,5 mm bis 48,3 x 2 mm
- Oberfläche: K240 geschliffen
- Werkstoff: X5CrNi18-10
- Werkstoffnummer: 1.4301
- Herstellungsverfahren: lasergeschweisst
- Abmessung: 20 x 20 x 3 mm bis 50 x 50 x 5 mm
- Normen: EN 10088-33
- Werkstoff: X5CrNi18-10
- Werkstoffnummer: 1.4301 / AISI 304
- Oberfläche: K240 geschliffen
- Normen: EN 10056 / EN 10088-3
- Abmessungen: 20 x 20 x 3 mm bis 40 x 40 x 4 mm
- Werkstoff: X5CrNi18-10
- Werkstoffnummer: 1.4301 / AISI 304
- Oberfläche: K240 geschliffen
- Normen: EN 10058 / EN 10088-2
- Abmessungen: 20 x 5 mm bis 60 x 5 mm
- Werkstoff: AlMgSi0,5
- Herstellungsverfahren: gepresst
- Abmessung: 10 x 10 x 10 x 2 mm bis 50 x 50 x 50 x 3 mm
- Normen: EN 573/755/-9
- Lieferzustand: T66
- Werkstoff: X5CrNi18-10
- Werkstoffnummer: 1.4301 / AISI 304
- Oberfläche: K240 geschliffen
- Normen: EN 10278 / EN 10088-3
- Abmessungen: 10 mm bis 16 mm
- Werkstoff: X5CrNi18-10
- Werkstoffnummer: 1.4301 / AISI 304
- Normen: EN 1088-3 / EN 10278
- Längentoleranz: +/- 3 mm
Lieferzustand +A
Das Weichglühen +A wird häufig bei Werkstoffen mit hohen Kohlenstoffgehalten oder bei hochlegierten Stahlsorten durchgeführt, da sie nach dem Warmwalzen bei unkontrollierter Luftabkühlung eine höhere Festigkeit aufweisen. Die Zerspanung solch hochfester Werkstoffe wird dadurch erschwert. Durch das Weichglühen wird die Festigkeit herabgesetzt, die Zerspanbarkeit und Umformbarkeit deutlich verbessert.
Lieferzustand +QT
Das Vergüten +QT erhöht die Festigkeit, Zähigkeit und Verschleißbeständigkeit des Werkstoffes und wird bei Werkstoffen mit höheren Kohlenstoffgehalten durchgeführt.
Durch Abschrecken des Materials bei hoher Temperatur wird eine sehr hohe Härte erzielt, die mit einer hohen Versprödung und Bruchempfindlichkeit einhergeht. Die benötigte Festigkeit und Zähigkeit wird durch das Anlassen erzielt. Das gehärtete Produkt wird erneut auf eine werkstoffspezifische Temperatur erwärmt und an Luft abgekühlt. Dies reduziert die hohe Härte und erhöht die Zähigkeit des Materials. Die Bezeichnung +QT stammt auch aus dem englischen „Quenched and Tempered“, auf Deutsch abgeschreckt und angelassen.
Lieferzustand +FP
Die Behandlung auf Ferrit-Perlit Gefüge und Härtespanne +FP wird üblicherweise bei sogenannten Einsatzstählen durchgeführt. Durch eine gestaffelte und kontrollierte Abkühlung wird ein rein ferritisches-perlitisches Gefüge erzielt. Diese besondere Gefügestruktur verbessert die Zerspanbarkeit und minimiert Maßänderungen die nach dem Einsatzhärten eintreten könnten.
Lieferzustände nach Oberflächenzustand definiert
Betrachten wir nun die Lieferzustände die nach dem Oberflächenzustand definiert sind.
Blankstähle werden aus entzunderten, warmgewalzten Vorprodukten durch Kaltumformen oder durch mechanische Bearbeitung hergestellt. Dies wird durch die vier bekanntesten Bearbeitungsverfahren oder auch Oberflächenzuständen mit den dazugehörigen Symbolen +C, +SH, +G und +PL erreicht.
Gehen wir mal auf diese noch näher ein.
Lieferzustand +C
Gezogene Blankstähle mit dem Symbol +C sind Stäbe, die verschiedene Querschnittsformen aufweisen können. Sie zeigen eine glatte und zunderfreie Oberfläche sowie eine gute Form- und Maßgenauigkeit auf. Durch das Kaltziehen werden diese Blankstähle in Abhängigkeit der jeweiligen Abmessung mehr oder weniger stark verfestigt, sodass sie in der Regel nach dem Kaltziehen eine höhere Festigkeit aufweisen.
Lieferzustand +SH
Geschälte Blankstähle mit dem Symbol +SH sind Stäbe mit ausschließlich rundem Querschnitt. Durch die spanende Verarbeitung zeigen sie eine glatte und nahezu fehlerfreie Oberfläche mit guter Form- und kleiner Maßtoleranz auf. Eine durch das Warmwalzen ggf. verursachte Randentkohlung wird durch das Schälen beseitigt.
Lieferzustand +G und +PL
Geschliffene mit dem Symbol +G oder geschliffen und polierte Blankstähle mit den Symbolen +G +PL sind Stäbe in ausschließlich rundem Querschnitt mit einer sehr glatten und glänzenden Oberfläche. Die Stäbe weisen die beste Formgenauigkeit auf und können mit einer sehr genauen, kleinen Durchmessertoleranz in h6 geliefert werden.
Kombinierte Lieferzustände
Als letztes erläutern wir noch die kombinierten Lieferzustände, die sich sowohl auf eine Wärmehandlung als auch auf einen Oberflächenzustand beziehen.
Zum Beispiel kann ein warmgewalzter, entzunderter Stab, bei entsprechender Werkstoffauswahl, zunächst vergütet und anschließend gezogen werden, oder alternativ vergütet, geschält oder geschliffen werden.
Solche kombinierten Lieferzustände sind in dem hier beschriebenen Zusammenhang, den Blankstählen vorbehalten.
Wir haben Ihnen hier verschiedene Lieferzustände mal dargestellt:
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